Eine Illustration zeigt zwei Neutronensterne, die miteinander kollidieren und verschmelzen.(Bildnachweis: Robert Lea (erstellt mit Canva))
Wissenschaftler haben eine neue Möglichkeit entdeckt, das Innere von Neutronensternen zu untersuchen, indem sie Gravitationswellen nutzen, um sie in „kosmische Stimmgabeln“ zu verwandeln. Der Nachhall solcher Wellen in der Raumzeit könnte das Innere dieser extremen Sternreste enthüllen.
Neutronensterne entstehen, wenn massereiche Sterne sterben, und haben bis zu zweimal so viel Masse wie die Sonne, zusammengepfercht auf einen Durchmesser von etwa 20 Kilometern. Das bedeutet, dass sie aus der dichtesten Materie im bekannten Universum bestehen. Luciano Rezzolla und seine Forschungsgruppe an der Goethe-Universität Frankfurt stellen die Theorie auf, dass der Schlüssel zur Entdeckung des Inneren von Neutronensternen in den Kollisionen zwischen diesen extremen Sternüberresten liegen könnte. Genauer gesagt glaubt das Team, dass der Schlüssel darin liegt, sich darauf zu konzentrieren, wie der Tochterüberrest dieser heftigen Kollision die Raumzeit mit Gravitationswellen zum Klingen bringt.
„So wie Stimmgabeln aus unterschiedlichem Material unterschiedliche reine Töne haben, werden Überreste, die durch unterschiedliche Zustandsgleichungen beschrieben werden, mit unterschiedlichen Frequenzen erklingen“, sagte Rezzolla in einer Erklärung. „Die Entdeckung dieses Signals hat daher das Potenzial zu zeigen, woraus Neutronensterne bestehen.“
Ringende Raumzeit
Gravitationswellen wurden zum ersten Mal von Albert Einstein in seiner Theorie der Schwerkraft von 1915 vorgeschlagen, die als allgemeine Relativitätstheorie bekannt ist.
Die allgemeine Relativitätstheorie besagt, dass die Schwerkraft dadurch entsteht, dass die Masse das Gewebe der Raumzeit (die vierdimensionale Vereinigung von Raum und Zeit) krümmt. Wenn zwei Neutronensterne in einem Doppelsternsystem umeinander kreisen, strahlen sie Gravitationswellen aus. Diese Gravitationsstrahlung trägt den Drehimpuls vom Doppelsternsystem weg und bewirkt, dass sich die Neutronensterne zusammenziehen. Dadurch erhöht sich die Frequenz der ausgesandten Gravitationswellen, so dass das System immer schneller an Drehimpuls verliert – und immer schneller schrumpft.
Das geht so lange, bis die gegenseitige Schwerkraft der Neutronensterne die Oberhand gewinnt und die Sternüberreste miteinander kollidieren, was eine kataklysmische Explosion, eine so genannte Kilonova, verursacht. Diese sendet auch einen Schrei von Gravitationswellen aus.
NASA/CXC/E. Troja)Rezzolla und seine Kollegen schlagen vor, dass diese Gravitationswellen Informationen über das Innere des Überrests nach der Verschmelzung verschlüsselt haben. Mit Hilfe von Computersimulationen der allgemeinen Relativitätstheorie fand das Team heraus, dass die Amplitude des Gravitationswellensignals nach der Verschmelzung mit der Zeit abnimmt. In diesem Fall wird das Signal zunehmend „rein“. Das bedeutet, dass es beginnt, auf einer einzigen Frequenz zu konvergieren, ähnlich wie eine riesige Stimmgabel, die nach dem Anschlagen zu schwingen beginnt. Das Team hat diese Phase der Signalentwicklung als „Long Ringdown“ bezeichnet. Die Forscher stellen die Theorie auf, dass es einen starken Zusammenhang zwischen den Merkmalen des langen Ringdowns und den Eigenschaften der dichtesten Regionen in Neutronensternkernen gibt.
Die Analyse des langen Ringdown-Signals reduziert daher die Unsicherheiten in der Zustandsgleichung der Materie bei den unglaublich hohen Dichten, die in Neutronensternen zu finden sind.
„Dank Fortschritten in der statistischen Modellierung und hochpräzisen Simulationen auf Deutschlands leistungsstärksten Supercomputern haben wir eine neue Phase des langen Ringdowns in Neutronensternverschmelzungen entdeckt“, sagte Teamleiter Christian Ecker, ein Forscher der Goethe-Universität, in der Erklärung. „Gravitationswellendetektoren wie LIGO (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory) und Virgo lauschen seit 2015 auf diese Wellen in der Raumzeit. Ein lang anhaltendes Signal wie das in dieser Studie beschriebene ist jedoch noch nicht „gehört“ worden. Die Hoffnung ist, dass die nächste Generation von Gravitationswellendetektoren, einschließlich des weltraumgestützten Observatoriums LISA (Laser Interferometer Space Antenna), in der Lage sein wird, einen solchen Nachweis zu erbringen. „Diese Entdeckung ebnet den Weg für ein besseres Verständnis der dichten Neutronensternmaterie, insbesondere wenn in Zukunft neue Ereignisse beobachtet werden“, so Ecker.
Die Forschungsergebnisse des Teams wurden am 3. Februar in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.