Andre van der Hoeven (Niederlande) kombinierte verschiedene Datensätze aus den Archiven des Hubble-Weltraumteleskops, um dieses atemberaubende Bild der Spiralgalaxie Messier 77 zu erstellen. (Bildnachweis: Andre van der Hoeven/NASA/ESA)
Galaxien wie die Milchstraße sind nicht nur für ihre Spiralarme bekannt – sie besitzen auch sogenannte „Federn“. In diesen Strukturen entstehen ständig neue Sternhaufen. Die Entstehung dieser komplexen Gebilde gab Astronomen lange Rätsel auf. Doch nun könnte ein Forschungsteam die Lösung gefunden haben: Alles, was es braucht, ist ein wenig Schwerkraft.
Seit über einem Jahrhundert begeistern sich Astronomen für die Schönheit und Komplexität von Spiralgalaxien. Die größten „Grand-Design“-Spiralen können ein Dutzend oder mehr einzelne Spiralarme aufweisen. Doch neue hochauflösende Beobachtungen mit dem Hubble- und James-Webb-Weltraumteleskop zeigen: Die Wirklichkeit ist noch faszinierender.
Ein einzelner Spiralarm kann sich zehntausende Lichtjahre um eine Galaxie winden. Doch Astronomen haben entdeckt, dass diese Arme von zahlreichen kleineren Strukturen durchzogen sind – sogenannten „Federn“.
Diese federartigen Strukturen sind deutlich kleiner als Spiralarme und erstrecken sich nur über wenige tausend Lichtjahre. Doch ihre Dichte ist außergewöhnlich hoch – weitaus höher als in den größeren Armen. Hier findet besonders intensive Sternentstehung statt. Astronomen haben in diesen „Federn“ junge Sternhaufen und gewaltige Ansammlungen von neutralem Wasserstoff entdeckt. Tatsächlich spielt sich ein Großteil – vielleicht sogar der überwiegende Teil – der Sternentstehung innerhalb einer Galaxie genau in diesen faserartigen Strukturen ab.
Zunächst gingen Astronomen davon aus, dass diese federartigen Strukturen nur in großen Spiralgalaxien vorkämen. Doch die Hinweise mehren sich: Fast alle Spiralgalaxien – einschließlich unserer Milchstraße – besitzen solche „Federn“.
Wie entstehen diese federartigen Strukturen in Galaxien? Seit Jahren diskutieren Astronomen über verschiedene mögliche Entstehungsmechanismen.
Im galaktischen Maßstab sind diese „Federn“ relativ klein – aber zahlreich vorhanden. Das deutet auf einen komplexen Bildungsprozess hin. Eine Theorie besagt, dass Supernova-Explosionen die Spiralarme formen und dabei wie ein Bildhauer das Gas zu diesen Strukturen modellieren.
Alternativ könnten auch schwache, aber riesige Magnetfelder die fadenförmigen Gebilde durch ihre Verwirbelungen erzeugen.
Doch in einer neuen Studie, die im Fachjournal Astronomy & Astrophysics zur Veröffentlichung angenommen wurde, schlagen Astronomen etwas viel Einfacheres vor: Gravitation. Einfach nur Schwerkraft.
Andre van der Hoeven (Niederlande) kombinierte verschiedene Datensätze aus den Archiven des Hubble-Weltraumteleskops, um dieses atemberaubende Bild der Spiralgalaxie Messier 77 zu erstellen. (Bildnachweis: Andre van der Hoeven/NASA/ESA)
Um diese Hypothese zu testen, entwickelte das Team ein extrem vereinfachtes Galaxienmodell. Diese simulierte Galaxie enthielt weder Sterne noch Materieklumpen, ebenso wenig Supernovae oder Magnetfelder. Es handelte sich lediglich um eine einfache, rotierende Gasscheibe. Dann ließen sie diese Gasscheibe unter ihrer eigenen Schwerkraft weiterentwickeln, um zu beobachten, ob sich federartige Strukturen von selbst bilden würden.
Und genau das geschah. Innerhalb kürzester Zeit zerfielen die simulierten Gas-Scheiben in ein System verschachtelter Filamente – sie ähnelten verblüffend den beobachteten Federstrukturen. Komplexe Physik war dafür nicht nötig. Grund war die instabile Beschaffenheit der Gasscheibe: Jede noch so kleine Verdichtung neigte dazu, in sich zusammenzufallen. Diese natürliche Tendenz, kombiniert mit der Rotation des Gases, erzeugte schließlich die länglichen Strukturen – die charakteristischen Federn.
Anschließend verglichen die Forscher die in simulierten Galaxien erzeugten Federn mit tatsächlich beobachteten Exemplaren. Dabei zeigte sich eine grundsätzliche Übereinstimmung in Größe, Form und Dichte.
Die simulierten Galaxien sahen ganz anders aus als echte Galaxien. Doch genau darum ging es: Die Forscher wollten untersuchen, ob allein durch einfache physikalische Kräfte – konkret die Schwerkraft – diese federartigen Strukturen entstehen können.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass dies tatsächlich möglich ist. Der eigentliche Test wird jedoch sein, noch komplexere physikalische Prozesse in die Simulationen einzubeziehen – was ironischerweise nötig ist. Denn Faktoren wie Supernovae und Magnetfelder beeinflussen die Entwicklung von Spiralgalaxien und könnten diese gravitationsgetriebenen „Federn“ wieder zerstören.
Falls das passiert, stünden wir wieder am Anfang.
Dennoch ist dies eine vielversprechende Hypothese. Sie zeigt, dass die Natur durchaus in der Lage ist, mit einfachen physikalischen Prozessen komplexe Strukturen zu erschaffen – selbst auf galaktischen Maßstäben.